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GERALD ENZINGER

GERALD ENZINGER

Ferraris Übel: Stallorder

Der hohe Gast in Maranello erinnerte Ferrari dieser Tage an schlechte Zeiten. Denn nach dem WM-Titel von Jody Scheckter 1979 blieb das reichste Team der Formel 1 unvorstellbare 21 (!) Jahre ohne Championat. Und nun ist man schon wieder zwölf Jahre ohne Titel. Was auch mit der traditionell desaströsen Teamführung zu tun hat. Wie auch jetzt wieder im Fall Vettel vs. Leclerc, wo Teamchef Binottos Stallorder allen Beteiligten schadet.
Und wieder einmal heißt es: Ferrari in Crisi.

So optimistisch das (traditions-)reichste und wichtigste Team der Formel 1 nach den Tests auch war, so ernüchtert ist man nach drei Rennen und drei Niederlagen in der Saison 2019.

Wie oft in den vergangenen Jahren hat man den Eindruck: Ferrari hat durchaus ein Auto auf Weltmeisterniveau, aber keine Teamführung von dementsprechenden Format. Wie eigentlich nie, seit die Ära von Jean Todt und Ross Brawn rund um 2006/07 zu Ende gegangen ist.

Die Ära Stefano Domenicali war nach gutem Beginn (Weltmeistertitel durch Räikkönen dank Teamkrieg bei McLaren) vor allem von Streitigkeiten mit Superstar Fernando Alonso und geradezu absurden Machtkämpfen bis hinein in den Alltag geprägt. Und begonnen hatten die Probleme mit einem bis heute unerklärlichen strategischen Fehler in Abu Dhabi 2010, der zu einem verfrühten Boxenstopp bei Alonso führte und der Vettel und damit Red Bull zum Weltmeister machte.

Ohne diesen "Ur-Fehler" wäre danach vielleicht alles anders verlaufen und die Geschichte würde sich heute komplett anders lesen.

So aber entnervte sich Ferrari erst an der Ära Red Bull Racing und dann an jener, noch dominanteren, von Mercedes.

Erst war Domenicali weg, dann Alonso – und bei den Teamchefs gab es erst mit Marco Mattiacci einen Komplett-Fehlgriff, dann mit Mauruzio Arrivabene einen Leader, der am Ende absurderweise Opfer immer besserer Leistungen des Rennstalls wurde – denn der dafür Verantwortiche, Technik-Chef Mattia Binotto, wurde gieriger nach mehr.
Und gewann den Machtkampf gegen Arrivabene. Nun ist Binotto Teamchef – allerdings in einem Rennstall, der nach dem Tod von Präsident Sergio Marchionne an Einfluss im FIAT-Imperium verloren hat.

So sehr es richtig war, vor der Saison für klare Fronten zu sorgen, so schlimm ist es nun, dass auffällt, dass Binotto in seinem alten Job in der Technik-Abteilung, wo er sowohl bei Motoren als auch in Chassis-Fragen als ausgewiesener Experte gilt, nicht loslassen kann.

Und das führt zu einer offensichtlichen Überarbeitung, die wiederum in Überforderung mündet.
Binotto will zu viel und Binotto macht zu viel.


Und einiges macht er falsch: Wie etwa die völlig unnötige öffentliche Festlegung auf Sebastian Vettel als Nummer 1, der wie jüngst in China auch Vorfahrt gegenüber Charles Leclerc bekommt.

Damit aber schadet man allen:
- Vettel, weil man den Eindruck bekommt, er braucht Hilfe vom Team. Und damit bestätigt man ein Vorurteil seiner Hater, die meinen, er sei bei Red Bull nur deshalb so erfolgreich gewesen, weil Helmut Marko alles im Team auf ihn gesetzt hatte.

- Leclerc, der spätestens nach seinem grandiosen Rennen in Bahrain als der Superstar der Zukunft gilt. Ein Liebling der Massen, der Ferrari ein jüngeres Gesicht gibt und der in Rekordzeit extrem populär geworden ist. Und der in Bahrain nur wegen einem Fehler der Qualitätskontrolle von Ferrari nicht gewann.
Einfach ungeschickt, in just in den Tagen danach, als alle Welt mit ihm mitfühlt, zur Nummer 2 zu degradieren. Und dumm. Denn wer Leclercs Konstanz seit Jahren beobachtet, der weiß: der Mann hat das Potenzial schon heuer Weltmeister zu werden. Fehlt nur noch, dass ihn am Ende die Punkte fehlen, die das Team ihm per Order in Shanghai weggenommen hat...

- Ferrari, das seinen unsympathischen Ruf als Politik-Team verstärkt. Seit dem legendären "Let Michael pass for the championship" in Spielberg 2002, bei dem ein entfesselter Rubens Barrichello mitten in der Saison für Schumacher ausweichen musste, haben viele Fans von einst mit Ferrari gebrochen. Zumal sich die Szene 2010 in Hockenheim mit Massa und Alonso wiederholte. 2018 unter Arrivabene machte man das plötzlich das Gegenteil  – und wieder war es eine falsche Entscheidung: Der in der WM längst chancenlose Räikkönen durfte in Monza Vettel im Qualifying besiegen und all das löste eine Fehlerkette aus, die am Ende die WM kostete.

Und Binotto? Der bestätigt in den ersten Monaten eine Uralt-These: ein erfolgreicher Technik-Chef, ein Superhirn, ist noch lange kein guter Teamchef. Denn es sind völlig andere Skills gefordert.

Ferrari muss jetzt endlich gewinnen. Und die Weichen stellen. Und entweder einen starken Technik-Chef installieren und Binotto zum Teamchef machen – oder diesen wieder ausschließlich ans Auto lassen, und dafür einen starken Manager als Rennleiter installieren.

Sonst ist Mercedes erneut auf und davon. Und es dauert noch länger, bis man den ersten Fahrer-WM-Titel seit 2007 holt. Wie lange es dauern kann, daran erinnerte vor wenigen Tagen der Besuch des Südafrikaners Jody Scheckter in Maranello. Der war nämlich 1979 Weltmeister geworden (übrigens nach Stallorder...) - danach musste Ferrari zwei (!) Jahrzehnte warten, eher Michael Schumacher 2000 den Bann brach.

Ferrari ist unter Druck. Aber wann ist man das eigentlich nicht seit 2004?
Im Nachtrennen von Bahrain verblasste Vettel im wahrsten Sinn des Wortes hinter dem grandiosen Leclerc.Im Nachtrennen von Bahrain verblasste Vettel im wahrsten Sinn des Wortes hinter dem grandiosen Leclerc.
Teamchef Mattia Binotto überraschte alle mit einer Pro-Vettel-Order unmittelbar nach Leclerc Traumvorstellung.Teamchef Mattia Binotto überraschte alle mit einer Pro-Vettel-Order unmittelbar nach Leclerc Traumvorstellung.
Vettel unter Druck von Jungstar Leclerc.Vettel unter Druck von Jungstar Leclerc.
Ex-Champ Jody Scheckter mit Piero Ferrari & Mattia Binotto.Ex-Champ Jody Scheckter mit Piero Ferrari & Mattia Binotto.
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