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SERGIO MARCHIONNE

SERGIO MARCHIONNE

Ein Drama, das die Formel 1 verändert

Der Tod von Sergio Marchionne erschüttert Italien und die Auto-Industrie. Und: Er wird den künftigen Verlauf der Formel 1 massiv verändern. Denn fast alle wichtigen Zukunftsfragen hingen bis vor wenigen Tagen am Patriachen.
Es ist der Abgang des vielleicht charismatischten Auto-Patriachen der letzten 15 Jahre.
Sergio Marchionne hatte Fiat einst als Quasi-Totalschaden übernommen und das Werk binnen eineinhalb Jahrzehnten komplett verändert - und gerettet.
Der Sohn eines nach Kanada ausgewanderten Polizisten aus den Abruzzen definierte viele Regeln in der Automobilindustrie neu. Er bewahrte Fiat vor der Pleite und führte den Konzern aus der unglücklichen Beziehung mit General Motors. Das dabei lukrierte Geld investierte er auf geniale, mutige und eigenwillige Art und Weise. So konnte man es sich mitten in der Finanzkrise 2009 leisten, in Chrysler zu investieren und zum siebtgrößten Automobilkonzern der Welt zu werden. Marchionne war der einzige, der die Chance rund um den Ausverkauf des einstigen US-Giganten richtig eingeschätzt hatte.
Oder wie man in der Branche sagte: "Er hat aus zwei Einbeinigen einen Riesen geformt."

Vieles, wenn auch nicht alles, ist ihm und seinem Konzern seit damals aufgegangen und die Eigentümer-Familie wurde durch seine Transaktionen mit Milliarden überhäuft. Klar, dass er mit der Zeit auch bei seinem Herzensprojekt die ganze Macht übernahm: bei Ferrari und dort speziell beim Formel-1-Team.

Umso spektakulärer wird sich sein Tod nun in der Formel 1 auswirken, denn er ändert (fast) alles.
Als Marchionne auch Ferrari-Präsident wurde (nach einer definitiv gnadenlosen Entmachtung des legendären Luca Montezemolo) dachten viele, er wäre nur ein Präsident für die Auslage und für ein paar Fotos. Das Gegenteil passierte.

Bis zu drei Mal in der Woche schaute Marchionne trotz seines dichten Terminplanes in Maranello vorbei, er wurde zum Motor, zum Getriebe und zur Lenkung des Formel-1-Teams. Aber auch zur Stoßstange, wenn man eine solche benötigte.
Und das, was er tat, tat er im wahrsten Sinne des Wortes hemdsärmelig und im Pullover, der sein Markenzeichen wurde. Was für ein optisches Gegenteil zum Grafen Montezemolo in seinen Designer-Anzügen. Die meisten Arbeiter hatten größten Respekt vor dem neuen Patriachen, der zu Mittag in die ganz normale Kantine ging und sich seine Pasta pesto holte.

In der Formel 1 war er weniger gemütlich: Er räumte im Team auf, attackierte selbst Vettel und Räikkönen bei Fehlern, setzte Teamchef Arrivabene unter Druck. Und stellte den Rennstall doch am Ende so auf, dass man heuer aus eigener Kraft Weltmeister werden kann - zum ersten Mal seit zehn Jahren.

Im Grand-Prix-Zirkus war er der meist gefürchtete Mann der letzten Monate. Bis aufs Blut versuchte er die (schier unermesslichen...) Sonderrechte von Ferrari in der Formel 1 zu verteidigen - immer wieder auch mit der Drohung, den Sport 2020 zu verlassen, falls die neue Regelgebung nicht in seinem Sinne ist.

Und nun ist er plötzlich tot - und alle Fronten müssen neue abgesteckt werden.

Die Frage der Formel-1-Zukunft: Viele im Fahrerlager hoffen, dass es nun schneller geht, die Motorenregeln und alle anderen Abkommen für den Sport ab 2021 zu vereinbaren. Auch in den letzten Wochen vor seiner Operation hatte sich Marchionne immer wieder quergelegt, er wollte auch die Hürden für potenzielle neue Hersteller oder Antriebslieferanten plötzlich wieder erhöhen.
Jetzt beginnt das Spiel der Mächte wieder von vorne - und viele denken, Marchionnes Nachfolger wird eher zu Kompromissen bereit sein. Was freilich auch Wunschdenken sein kann.
Sie führten Ferrai wieder nach vor: Binotto, Marchionne, Arrivabene.Sie führten Ferrai wieder nach vor: Binotto, Marchionne, Arrivabene.

Die nächste Frage: Was wird aus Charles Leclerc?

Ein weiteres extrem brisantes Thema ist der Öffentlichkeit noch gar nicht so bewusst. Marchionne wollte unbedingt, dass Kimi Räikkönen 2019 durch den jüngeren Charles Leclerc ersetzt wird und Ferrari-Pilot wird, neben Sebastian Vettel.
Eine Entscheidung, die Sinn machen würde: Leclerc gilt als Jahrzehnte-Talent, er fährt bei Sauber seit Monaten wie entfesselt und er dürfte - neben Verstappen - der wichtigste Pilot der 20er-Jahre werden.
Doch nun gibt es ein Problem: Nicht nur, dass mit Marchionnes Tod die Anti-Räikkönen-Front bröckelt (der Finne ist ein fehlerloser, schneller und vor allem folgsamer Nummer-2-Pilot), gibt es in der Affäre Leclerc noch ein weiteres Problem.
Leclerc wird von Nicolas Todt gemanagt, und dessen Vater, FIA-Präsident Jean Todt, mischt im Hintergrund mit. Nun ist es aber so, dass der neue Formel-1-Chef von Ferrari, Louis Camilleri, als Intimfeind der Todts gilt und mit diesen - wie man hört - eigentlich nichts zu tun haben will. Selbst wenn Ferrari eigentlich wegen der Perspektive und der Klasse von Leclerc nicht auf diese Option verzichten kann, könnte es den Transfer zumindest verkomplizieren oder um ein Jahr verzögern. "Wenn er überhaupt je zustande kommt", wie man im Fahrerlager raunt.

Was wird aus Maurizio Arrivabene?
Der Teamchef von Ferrari ging schwer angezählt in diese Saison, mit Mattia Binotto (Technischer Direktor, höchst erfolgreich) stand der angedachte Nachfolger längst in der Box neben ihn. Doch dann gewann Vettel mehrere Rennen und die geplante Ablöse verzögerte sich. Und nun ist mit Camilleri der Mann an der Macht, der bei Philip Morris 25 Jahre eng mit Arrivabene zusammengearbeitet hat. Da stehen die Chancen also plötzlich gut für Maurizio.

Müssen Sauber und Haas nun zittern?
Marchionne wollte möglichst viel Macht in der Formel 1. Deshalb machte er über seine Marke Alfa Romeo Sauber quasi zum Eigentum von Ferrari, die Fortschritte in den letzten Monaten waren enorm. Er überlegte auch einen ähnlichen Deal mit Maserati zu machen und diese Marke zum Hauptsponsor / Machthaber bei HaasF1 zu machen. Viele im Konzern hielten das für übertrieben - beide Deals müssen nun wohl neu gerechnet werden. Prognose: Das erfolgreiche Alfa-Projekt bei Sauber wird verlängert, Haas möchte und wird noch relativ unabhängig bleiben.

Gefährdet alles die WM 2018?
Vettel hätte Marchionne, der einst in der Schweiz in seiner Nähe gewohnt hatte, diesen Sieg am Sonntag in Hockenehim wohl gerne geschenkt - auch wenn der da schon im Koma lag. Fest steht: Ferrari hat heuer ein sehr gutes Paket und ist voll im WM-Rennen. Ablenkungen und Machtkämpfe sind nun ungelegen. Definitiv.

Doch vielleicht bleibt das Team geeint - und schenkt Marchionne diesen WM-Titel 2018 - ähnlich sentimental wie es 1988 der Sieg Gerhard Bergers in Monza war, kurz nach dem Tod von Enzo Ferrari.
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