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KOMMENTAR ZU FRITZ ENZINGER

KOMMENTAR ZU FRITZ ENZINGER

Mein Bruder, der Weltmeister

Mal ganz ohne Netz-Neutralität: Die Faszination Porsche aus der Nähe. Aus nächster Nähe. Wie der Porsche 919 Hybrid zum Teil meiner eigenen Familiengeschichte wurde. Und aus dem Reporter wieder der wurde, der er am Anfang war: Ein Fan.
Sie lesen einen Kommentar, gegen den sich der Kommentator - also ich - lange gewehrt hat. Für mich ist ein guter Journalist, zumindest im hochemotionalen Bereich Sport, meist einer, der das sensible Spiel zwischen Nähe und Distanz zu den Akteuren auf eine intuitive Art und Weise beherrscht. Nah ran gehen, um zu wissen, was wirklich los ist in der für uns Normalsterblichen oft so unergründlichen Welt des Spitzensports und doch nie zu vergessen, dass er hier der Berichterstatter ist:
Man ist der nicht der, der Geschichte schreibt.
Man ist der, der die Geschichte schreibt.

Das zu verstehen und zu beherzigen ist es, was einen als Journalist über Jahrzehnte Glaubwürdigkeit geben kann. Gegenüber dem Leser. Und gegenüber dem Helden, dem man bei aller Bewunderung seiner Leistungen auf Augenhöhe zu begegnen hat.

Und nun also ein Text, der - rein objektiv betrachtet - auf einer Plattform wie dieser geschrieben werden muss. Ein Österreicher bekommt eines Tages im Jahr 2011 den Auftrag, einen der spannensten Motorsport-Jobs der Welt zu übernehmen. Seine Agenda: Die legendärste und erfolgreichste Le-Mans-Marke Porsche wieder zurück in die Top-Klasse des vielleicht berühmtesten Rennens der Welt zu bringen.
Vor ihm liegt ein weißes Blatt Papier, auf den Schultern die Erwartungen eines riesigen Konzerns und die Sehnsüchte von Millionen mitfiebernden Fans in aller Welt.

Dieser Tage, sechs Jahre danach, ist der Siegerpokal von Le Mans für alle Zeiten an das Porsche-Museum übergeben worden. Der Lohn der Veranstalter für jenes Team, das dieses Rennen drei Mal in Serie gewinnt. Wer diesen in der Hochblüte der LMP1-Autos fast unmöglichen Hattrick schafft, bekommt die eigentlich als Wanderpokal gedachte Trophäe für immer. Schon in den Tagen davor hatte es für diesen Österreicher Grund zur Freude gegeben: erst bekam er - gemeinsam mit seinem Team - zum dritten Mal in Serie die Weltmeister-Trophaen in der WEC-Konstruktreurs-WM und in der Fahrer-WM.
Alle neun relevanten Titel der vergangen drei Jahre gingen an Porsche.
Zeit also einen Kommentar über den Österreicher zu schreiben.
Eine einfache Sache - wenn er nicht mein Bruder wäre: Fritz Enzinger.
Der Porsche 919 Hybrid gilt als eines der innovativsten Rennautos aller Zeiten - preisgekrönt.Der Porsche 919 Hybrid gilt als eines der innovativsten Rennautos aller Zeiten - preisgekrönt.
Der geniale Fußballtrainer Ivica Osim, dessen Autobiographie ich mitschreiben durfte, hat mir einen unvergessenen Satz gesagt: "Zu viel Licht schadet der Wahrnehmung."
Also zweifle ich ob, man eine Geschichte über den eigenen Bruder verfassen soll, ohne den Eindruck zu vermitteln, selbst die Bodenhaftung zu verlieren - die übrigens das Essentielle für jeden Erfolg im Rennsport ist. In jeder Hinsicht.

In meinem Beruf wird man oft gebeten, Leute einzuschätzen oder zu bewerten. Rennfahrer, Teamchefs. Was würde ich zu Porsche antworten?

Ich denke, es hat einfach gepasst. Auf der einen Seite ein Konzern, der immer noch die Gene eines Familienunternehmens hat. In dem mächtige Menschen vor allem Le Mans und den Sportwagensport im Blut haben. Aber auch im Herzen, im Hirn, im Bauch. Und in den Händen, die die Richtung vorgeben.

19 Mal hat Porsche nun diese Bestie von einem Rennen gewonnen.
Einem Rennen, dem man schnell verfällt und das man dann ewig liebt.
Le Mans kann dich mehr als nur verletzen, Le Mans zickt, ist eine launischa Diva und unberechenbar. "Nirgendwo bist du dem Sensenmann näher", hat mir der zweifache Sieger Alexander Wurz einmal mit einem lustvollen Schaudern gestanden. "Und wenn du am Podium bist und auf die 200.000 Leuten unten blickst, dann macht deine Seele Bilder für die Ewigkeit."

Mein Bruder war da nun drei Mal in Folge oben und mit ihm gefühlt all seine 290 Mitarbeiter und auch allen anderen, die Porsche leben und lieben -  wobei das eine ja meist das andere bedingt.

Trotzdem würde ich, der ich mich jetzt als Halbaußenstehender definiere, bei Porsche nie eine solche Hysterie der Leidenschaft erkannt haben, wie ich sie so oft etwa bei Ferrari als Hemmnis empfinde. Bei Porsche kann man in Ruhe arbeiten und das hat wohl auch mit der beeindruckenden Mittigkeit des Projektleiters zu tun, der auch im Zentrum des Geschehens und der Aktion eines verkörpert: In der Ruhe liegt die Kraft.

Man muss trotzdem Ja und Nein sagen können in diesem Job: Etwa sich zu entscheiden, eine eigene LMP1-Abteilung zu machen und damit (im Gegensatz zu Audi oder Toyota) das Team vollends eins mit der Mutter und der Marke zu machen. So hat man den Infrastruktur-Vorteil des Imperiums, aber die Flexibilität einer überschaubaren stimmigen Truppe an Petrolheads, die zugleich meist begnadete Ingenieure und Techniker sind - und vice versa.

Die Bilanz für den 919 Hybrid ist mehr als eindrucksvoll: Insgesamt sechs WM-Titel, drei Le-Mans-Gesamtsiege, 17 Rennsiege, darunter sieben Doppelerfolge, 20 Pole Positions und zwölf schnellste Runden in 34 Rennen

Vor einigen Tagen wurde Fritz von "Auto Bild Motorsport" - stellvertretend für sein Team - mit dem Pokal für "das Rennauto des Jahres" ausgezeichnet. Für das "Lebenwerk" des nun pensionierten Autos gilt das auf alle Fälle: Davor hatte man noch kein so radikal innovatives Hybrid-Auto gesehen. Ein Auto, dass noch für Generationen von Porsches auf der Straße Grundlagenforschung bei 350 km/h betrieben hat. "Ein Fahrzeug, das vor fünf, sechs Jahren noch undenkbar erschien." Das hat der WEC-Experte von "Eurosport" kürzlich live im TV gesagt über den 919 Hybrid, der unsere ganze Familie zuletzt an sieben, acht Wochenende im Jahr in Atem gehalten hat und uns gemeinsam an der Strecke und vor dem Fernseher versammelt hat. Mit dem wir 2014 kurz gelitten und danach fast nur mehr gejubelt haben.

Den es nun als Lego-Modell gibt, als Matchbox-Auto oder in der Playstation.
Und der mich jubeln lässt - als Mensch und Bruder und Fan und eigentlich auch als objektiver Journalist.
Jahrzehnte nachdem ich als Volksschüler zum ersten Mal mit meinem älteren Bruder im blitzblauen VW Käfer mit zum Österreichring fahren durfte. 

Nach Jahrzehnten als "Profi" in der Motorsport-Berichterstattung war ich 2017 also in Le Mans im Mediacenter. Umgeben von vielleicht 500 Kollegen. Und doch ganz anders dabei bei all den Wendungen in diesen 24 Stunden. Ich war wieder der pure Fan so wie früher und nicht mehr der nüchtern analysierende oder nörgelnde Berichterstatter. Und als am Ende zehntausende von Menschen in Richtung des Podiums jubelten, da musste ich daran denken, dass auch mein Bruder einst an Rennstrecken so neben mir nach Rennen zu den Helden Piquet, Lauda und Co. aufgeschaut hatte. Als Student und mit dem festen Vorhaben: Motorsport zu seinem Beruf zu machen.

Und damit sind wir am Ende eines viel zu langen Kommentars, den ich eigentlich nie schreiben wollte.

Genauso gut hätte ich es hier an dieser Stelle und zum Jahreswechsel auch kürzer sagen können:

Glauben Sie an Ihre Träume!
Glauben Sie an die Träume Ihrer Geschwister, Ihrer Eltern, Ihrer Kinder, Ihrer Nichten und Neffen!
Glauben Sie daran, dass alles gut wird. Und Sie ihr ganz persönliches Podium erreichen werden.


Gerald Enzinger ist Motorsport-Experte von Motorprofis.at. Er ist seit mehr als 20 Jahren mit dem Renn-Zirkus (Formel 1, WEC, DTM, WRC, MotoGP) unterwegs und berichtet als langjähriger Chefredakteur der SportWoche auch für Magazine wie die Autorevue oder das Sportmagazin. Diesmal schreibt er in seiner Kolumne -ausnahmsweise - über seinen Bruder Fritz, der zuletzt als Vice President von Porsche Motorsports drei Mal WEC-Weltmeister wurde und drei Mal Le Mans gewann. Nach diesen Erfolgen zieht sich Porsche nun aus dem LMP1-Sport zurück. Um  - auch mit Fritz Enzinger an der Spitze - in die Formel E einzusteigen.
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