ENZOS BOX: MOTORSPORT BACKSTAGE
Was Wolff & Co. besser machen
Als wir im März 2009 in der österreichischen Zeitschrift „SportWoche“ als weltweit erster über die Pläne von Mercedes berichteten, das Team von Ross Brawn zu kaufen und mit einem eigenen reinen Werksteam in der Formel 1 anzutreten, konnten das viele noch nicht glauben. Ein Jahr später stand ein vermeintliches Wunderteam am Start des ersten Saisonrennens in Bahrain: Mit Mercedes als Eigentümer, mit dem eigens für Mercedes aus der Rente zurück gekehrten Rekordweltmeister Michael Schumacher und mit großen Ideen: Vom Titel im ersten Jahr wurde offen gesprochen, ganz der Leitlinie von Daimler entsprechend: Das Beste oder Nichts.
Es wurde erst einmal eine Enttäuschung: In den ersten drei Jahren fuhren die ruhmreichen Silberpfeile meist hinterher, den einzigen Sieg eroberte Nico Rosberg 2012 in China. Kurz darauf bewiesen die Daimler-Bosse rund um Dr. Dieter Zetsche, Wolfgang Bernhard und Bodo Uebber Mut und Weitblick: Sie stellten das Team radikal neu auf, holten erst Niki Lauda an Board und gleich darauf Toto Wolff, den Minderheitseigentümer und provisorischen Teamchef von Williams. Sie gaben ihnen Anteile (in Summe 40 Prozent). Eine Rechnung, die aufging. Drei Siege im ersten Jahr – und seitdem eine noch nie erlebte Dominanz in Silber. Mit einer Siegesquote von 67,2 Prozent (!) ist Toto Wolff der erfolgreichste Teamchef der Formel-1-Geschichte. Die Gründe sind vielfältig.
Die Person Toto Wolff.
Man konnte es mit freiem Auge sehen, das sich bei Mercedes GP was getan hatte. Vom ersten Rennen 2013 an, war alles irgendwie anders. Eine Mitarbeiterin erzählte schon damals: „Seit Toto hier ist, ist alles anders. Man wird vom Chef gegrüßt, alle sind freundlich, jeder freut sich jeden Tag auf den Job.“ Doch nicht nur die gewinnende Art des neuen Leaders von 1.500 Mitarbeitern half, sondern auch dessen Empathie. Als Mann einer Britin erkannte er, wie wichtig es ist, dass man in Gespräch mit großteils englischen Teammitgliedern den richtigen Ton trifft, sich auf die Feinheiten der Sprache besinnt und immer wieder Respekt zeigt. Denn der zwischenmenschliche Umgangston ist nun mal der Anfang von allem.
Wolff und Lauda kannten sich schon lange – Nikis Sohn Mathias war ja ebenso in der DTM engagiert wie Toto, trotzdem dauerte es eine Zeitlang bis die beiden Alpha-Tiere, die es gewohnt waren, eigenen Entscheidungen zu treffen, zueinanderfanden. Doch sie haben es geschafft, mit viel Respekt voreinander und dem Nutzen der jeweiligen Stärken. Lauda war wichtig, weil er dem Daimler-Vorstand auch undiplomatisch Dinge mit seiner reinen Legenden-Autorität klarmachen konnte, er hatte einen engen Draht zu Bernie Ecclestone und verbesserte die Verträge von Mercedes mit der Formel 1. Und er wurde von Lewis Hamilon geradezu angehimmelt, der nicht oft Menschen trifft, die von den fahrerischen Erfolgen her mit ihm auf Augenhöhe kommunizieren können.
Viele – auch der Autor dieser Zeilen – hielten es für möglich, dass Hamilton mit seinem mutigen Wechsel zum damaligen Loser-Team Mercedes seine Karriere so zerstören würde, wie es einst etwa ein Emerson Fittipaldi getan hatte. Doch das Gegenteil ist passiert. Alleine das fahrerische Genie des Engländers hat das Team sofort besser gemacht. Mit Toto Wolff hat er einen Chef, der ihm Freiheiten lässt, die unter Ron Dennis undenkbar gewesen wären und so ist er so gut wie nie zuvor.
Norbert Haug hatte es gut gemeint und auch richtig gesehen. Als die Formel 1 im Zuge der Finanzkrise 2008/09 ins Taumeln geriet und viele Werke ausstiegen, da gingen a) die Einstiegspreise drastisch nach unten und b) wurde über eine Budgetobergrenze diskutiert. Das waren die Argumente mit denen Haug ein Husarenstück gelang – nämlich mitten in den ärgsten Weltwirtschaftsturbulenzen einen Konzern zu motivieren, ein Formel-1-Team zu kaufen. Doch das schaffte er nur, indem er ein extrem niedriges Budget akzeptierte. Als dann die Obergrenze nie umgesetzt wurde, ging Mercedes gegen Red Bull und Co. völlig unter. Es war Wolffs Verdienst, Mercedes die Zahlen von Williams zu nennen (die beim Privatteam fast ähnlich waren) und Zetsche und Co. so zu motivieren, endlich mehr zu investieren.
Allen war klar: Wenn 2014 neue Motoren kommen würde (V6-Hybrid, also eine Revolution) würden es den einzigen Slot im ganzen Jahrzehnt geben, in dem man einen Umsturz schaffen könnte. Dementsprechend fokussiert arbeitete man vor allem im Mercedes-Motorenwerk in Brixworth Tag und Nacht an der Zukunft. Mit Erfolg. Renault etwa war als einstiger Turbo-Pionier viel zu selbstsicher an die Entwicklung des neuen Antriebsstranges herangegangen.
Der Wert der Loyalität.
Kaum ein Team hat so wenige Personalwechsel wie Mercedes. Dass Ross Brawn gehen würde, war rasch klar und für alle Beteiligten das Beste – seine distanzierte Art der Menschenführung passte nicht in so einen großen Konzern, bei all seiner Klasse im Umgang mit Maschinen. Wolff hat die langfristigsten Verträge der Branche etabliert und verhindert so einen Know-how-Transfer zur Konkurrenz. Zudem ist der Wohlfühlfaktor hoch, auch weil man etwa als Mercedes-Ingenieur nicht so sehr im Schatten steht wie es etwa viele hochbegabte Leute neben Adrian Newey tun.
Toto Wolff ist, das wissen enge Weggefährten, ein eher pessimistischer Mensch. All das Glück, das ihm oft zuzufliegen scheint, ist hart erkämpft und er kennt auch die anderen Seiten des Lebens gut. Sein Vater kämpfte zehn Jahre und letztens erfolglos gegen den Krebs, seine eigene Rennfahrerkarriere scheiterte an Geldmangel – so ein Mensch hat auch Demut vor der Endlichkeit des Erfolges. Und so einer kann sich oft lange oben halten, weil er auch im Augenblick des Erfolges nicht auf das morgen vergisst. So war es höchst mutig, nach drei WM-Titeln in Serie mit James Allision (Ex-Ferrari) einen neuen Technik-Chef an Board zu holen, um neue Ideen in dem Rennstall zu bringen.
Die Demut der Sieger.
2017 war wohl das entscheidende und wichtigste Jahr für Toto Wolff. Jetzt, da der Motorenvorsprung längst nicht mehr so gross ist wie früher und wo die Aufbauarbeit eines Ross Brawns längst Geschichte ist, können auch die größten Kritiker und Nörgler nicht mehr so tun, als ob Wolff und Lauda den Erfolg quasi nur verwalten müssten. Sie wissen: Man wird immer nur am letzten Rennen gemessen. Da – in einem für die WM bereits bedeutungslosen Rennen – gab es einen Doppelsieg.
Ein ausführliches Interview von Gerald Enzinger mit Toto Wolff lesen Sie in der Autorevue 1/2018.