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CITROËN SM

CITROËN SM

Ein wunderbar verrücktes Gspusi

Midlife-Crisis? Alkohol im Spiel? Vor 50 Jahren holte sich ausgerechnet der familienfreundliche Komfortspezialist Citroën einen rennsportlichen Maserati-Motor ins Auto. Das Luxus-Coupé SM war futuristisch wie die Concorde und schnell wie ein 911er. Kirchenmänner und Playboys fuhren es ebenso wie Präsidenten beider Blöcke – nur der Verkauf wollte einfach nicht durchstarten. Erst heute werden die Geniestreiche des SM gewürdigt, weil sie inzwischen in vielen Autos zu finden sind: Kurvenlicht, variable Servolenkung, Scheibenwischer-Automatik, verbrauchsreduzierendes Design.
Wie darf man sich die entscheidende Vorstandssitzung denn vorstellen: War es ein beschwingter Nachmittag nach langem Lunch mit gutem Wein? Und wer genau hatte da die Midlife-Crisis: Der Ingenieur, die Manager oder doch das ganze Land?

Klar ist, dass die Franzosen Ende der 60er-Jahre darunter litten, dass sie noch kein High-End-Luxusauto wie die Deutschen (Mercedes), Engländer (Jaguar) und Amerikaner (Cadillac) vorweisen konnten. Und dass die Autohersteller nicht dem Wagemut der Luftfahrindustrie nachstehen wollten, die im französischen Luftraum schon die Concorde erprobten, um bald in drei Stunden von Paris nach New York zu fliegen.
 
Bei Citroën jedenfalls existierte schon seit Jahren der Plan, von der beliebten DS-Limousine eine Variante mit sportlichem Antrieb und Handling abzuleiten. Das Vorhaben scheiterte am entsprechenden Motor – bis es einem wunderbar verrückten Gspusi in der Automobilwelt kam: Ausgerechnet der familienfreundliche Komfortspezialist Citroën und die illustre Sportwagenmarke Maserati paarten ihre Technik in einem Auto.
 
Der Motor für das künftige französische Luxus-Coupé sollte aus Modena kommen. Dazu muss man wissen, dass Maserati zu diesem Zeitpunkt so schillernd und vor allem rennsportverrückt wie der große Konkurrent aus dem nur wenige Kilometer entfernten Maranello war. Das brachte die Marke mit dem Dreizack in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die den erfolgreichen Großserienhersteller Citroën 1968 zum 60-Prozent-Einstieg bewog und das Motor-Experiment erst möglich machte.
Verrücktes Gspusi: Der familienfreundliche Komfortspezialist Citroën und die illustre Sportwagenmarke Maserati paaren ihre Technik in einem Auto.Verrücktes Gspusi: Der familienfreundliche Komfortspezialist Citroën und die illustre Sportwagenmarke Maserati paaren ihre Technik in einem Auto.
Der Citroën SM kam 1970 auf einen Topspeed von 220 km/h und war damit ähnlich schnell wie ein 911er war. Tempolimit gab es in Österreich 1974.Der Citroën SM kam 1970 auf einen Topspeed von 220 km/h und war damit ähnlich schnell wie ein 911er war. Tempolimit gab es in Österreich 1974.
Chefkonstrukteur Giulio Alfieri musste nun liefern, stand aber vor der Herausforderung, den 4,2-Liter-DOHC-V8 aus dem Maserati Indy auf unter 2,8 Liter Hubraum reduzieren zu müssen, weil das französische Steuersystem größere Motoren sehr stark bestrafte. Heraus kam ein Maserati-V6-Motor mit 170 PS, was damals auf dem Niveau der stärkeren Porsche-Modelle entsprach. Später sollte noch eine Version mit 190 PS folgen.
 
Noch verrückter war freilich, dass der Citroën SM bei seiner Einführung im Frühjahr 1970 eine Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h (spätere Modelle kamen auf 225 km/h) erreichte und damit auf der Autobahn ähnlich schnell wie ein 911er war. Was damals im Übrigen noch viel Sinn ergab, denn ein Tempolimit auf der Autobahn gab es in Österreich erst vier Jahre später im März 1974.
 
Dass Citroën mit einem riesigen 4,90-Meter-Luxus-Coupé auf das Tempo von renommierten Sportwagen kommen konnte, lag an genialen neuen Ideen – die heute wesentlicher Bestandteil der Verbrauchsreduktion geworden sind und vor allem in modernen Eco-Modellen zur Anwendung kommen. Zunächst die Reduktion der bewegten Massen durch gewichtsoptimierte Felgen, Citroën setzte dafür schon 1970 Kohlefasermaterial ein. Vor allem aber die spektakuläre Tropfenform der Karosserie, durch die der Citroën SM mit den anderen technischen Wunderwerken dieser Tage, vor allem der ebenfalls französischen Concorde, in einem Atemzug genannt wurde. Tatsächlich war der CW-Wert von 0,26 geradezu unglaublich, die Mercedes S-Klasse erreichte damals 0,45. Noch heute liegt der Audi A6 mit 0,27 darüber. Citroën hatte erkannt, dass gute Aerodynamik das Tempo steigert und den Verbrauch reduziert. Heute nutzen daher besonders verbrauchsoptimierte Modelle wie Toyota Prius und Hyundai Ioniq genau diese Tropfen-Karosserieform.
 
Vor allem das futuristische Design machte den Citroën SM bei den Reichen, Schönen und Berühmten dieser Zeit beliebt. Playboys fuhren ihn bald ebenso wie Kirchenoberhäupter. In der verlängerten Version war der SM aber nicht nur als Papamobil im Einsatz, sondern auch als Vermittler zwischen den politischen Blöcken. Als SM-Fahrer hatten Sowjet-Oberhaupt Leonid Breschnew und die französischen Politiker François Mitterand und Jacques Chirac eine automobile Gemeinsamkeit. Wie der als viertüriges (!) Cabriolet konstruierte SM Présidentielle kam auch die normale Cabrio-Version SM Mylord vom Pariser Karosseriebauer Henri Chapron.
Wie die präsidialen Sondermodelle kam auch die normale Cabrio-Version SM Mylord (Bild) vom Pariser Karosseriebauer Henri Chapron.Wie die präsidialen Sondermodelle kam auch die normale Cabrio-Version SM Mylord (Bild) vom Pariser Karosseriebauer Henri Chapron.
Citroën erkannte, dass die Tropfenform das Tempo steigert und den Verbrauch reduziert. Heute nutzen Eco-Modelle wie Prius und Ioniq diese Aerodynamik.Citroën erkannte, dass die Tropfenform das Tempo steigert und den Verbrauch reduziert. Heute nutzen Eco-Modelle wie Prius und Ioniq diese Aerodynamik.
Trotz allem wollte der Verkauf aber nicht so durchstarten wie geplant. Das lag wohl weniger am rauen Motorklang und den Vibrationen im Leerlauf, beides bedingt durch den 90-Grad-Zylinderwinkel (der aber wiederum kompakte Bauweise und damit die aerodynamische Karosserie ermöglichte). Auch das sensible pilzförmige (!) Bremspedalenge und der enge Fondbereich war nicht die vorrangigen Probleme. Vielmehr war es wohl der hohe Preis, der das Interesse begrenzte. Der Citroën SM kostete ebenso viel ein Porsche 911, Ferrari Dino oder Mercedes SLC, und damit deutlich mehr als etwa ein Jaguar XJ6, den er angreifen wollte.
Wurden zunächst noch 4000 bis 5000 Stück pro Jahr verkauft, stürzte der Verkauf in der Öl-Krise ab 1973 ab. Als die USA 1974 ein neues Stoßfänger-Gesetz erließen und der SM durchfiel, brach auch der wichtigste Exportmarkt weg. Und dann geriet schließlich Citroën selbst in finanzielle Nöte, die zur heute so erfolgreichen PSA-Allianz mit Peugeot führten. Der SM überlebte die Turbulenzen aber nicht und wurde 1975 nach nur 12.920 produzierten Fahrzeugen eingestellt.
Vermittler zwischen den Blöcken: Als SM-Fahrer hatten Sowjet-Oberhaupt Breschnew und die französischen Präsidenten eine automobile Gemeinsamkeit.Vermittler zwischen den Blöcken: Als SM-Fahrer hatten Sowjet-Oberhaupt Breschnew und die französischen Präsidenten eine automobile Gemeinsamkeit.

Damit bekamen zahlreiche im SM verpackten Geniestreiche zunächst keine breitere Öffentlichkeit – Jahrzehnte später sind diese von Citroën eingeführten Innovation aber in vielen modernen Autos zu finden.
Dazu zählt die Scheibenwischer-Automatik, die damals noch über Stromstärke statt über einen Sensor geregelt wurde. Weniger Strom bedeutete weniger Reibung, also mehr Regen – und somit das Signal an die Wischer, schneller zu arbeiten. Zudem war der Citroën SM ebenso wie die DS mit einer hydropneumatischen Federung ausgestattet, die von Rolls-Royce in Lizenz erworben wurde und dessen Prinzip von Mercedes bis heute verwendet wird.
Völlig neu in dieser Form war das mitlenkende und auch und auch horizontal bewegliche Kurvenlicht des SM. Die Behörden in den USA verweigerten diesem heute beliebten Feature die Zulassung, auch in Deutschland waren die Beamten zunächst extrem skeptisch.
Außergewöhnlich war auch die geschwindigkeitsabhängige Servolenkung, die selbstständig in die Mittellage zurückkehrte, sobald das Lenkrad losgelassen wurde. Ein sehr direktes Übersetzungsverhältnis bei geringen Geschwindigkeiten erleichterte die Parkmanöver und machte das Auto in engen Kurven agiler, während bei hohen Geschwindigkeiten die Übersetzung indirekter wurde, um das Auto stabiler zu machen. Genauso wie das heute funktioniert.
 
Eigentlich hätte der Citroën SM für all das natürlich den Titel des „Car oft he Year “ gewinnen müssen, aber da machte ihm 1970 ein Kollege einen kuriosen Strich durch die Rechnung: der Citroën GS trat im gleichen Jahr an, und als ebenfalls innovatives, aber massentauglicheres Auto schnappte er sich Platz eins. Das gab es auch nur einmal.
 
Durch die spektakuläre Tropfenform der Karosserie wurde der Citroën SM mit den anderen technischen Wunderwerken seiner Tagen einem Atemzug genannt.Durch die spektakuläre Tropfenform der Karosserie wurde der Citroën SM mit den anderen technischen Wunderwerken seiner Tagen einem Atemzug genannt.
Tatsächlich war der CW-Wert von 0,26 geradezu unglaublich…Tatsächlich war der CW-Wert von 0,26 geradezu unglaublich…
…die Mercedes S-Klasse erreichte damals 0,45, der Audi A6 hat heute 0,27.…die Mercedes S-Klasse erreichte damals 0,45, der Audi A6 hat heute 0,27.
Der SM überlebte die finanziellen Turbulenzen von Citroen nicht und wurde 1975 nach nur 12.920 produzierten Fahrzeugen eingestellt…Der SM überlebte die finanziellen Turbulenzen von Citroen nicht und wurde 1975 nach nur 12.920 produzierten Fahrzeugen eingestellt…
…so bekamen seine Geniestreiche zunächst keine große Öffentlichkeit – heute sind diese von Citroën eingeführten Innovation aber in vielen Autos zu finden.…so bekamen seine Geniestreiche zunächst keine große Öffentlichkeit – heute sind diese von Citroën eingeführten Innovation aber in vielen Autos zu finden.
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