
GERALD ENZINGER ÜBER LANDO NORRIS
Lando Norris besiegt Chuck Norris
Der junge Mann, der das altehrwürdige McLaren-Team retten konnte – wie wir es an dieser Stelle bereits 2018 und 2020 prophezeit hatten, was keine große Kunst war: das Lando etwas Spezielles ist, das war mit freiem Auge auf der Rennstrecke ebenso erkennbar wie mit einem scharfen Blick auf die Stoppuhr.
Lando Norris war der der erste Fahrer der Formel-1-Geschichte, der beim letzten Rennen des letzten Jahrhunderts noch nicht geboren war. Er kam 13 Tage nach dem Saisonfinale 1999 (Hakkinen vs. Irvine, Suzuka) auf die Welt. Geboren am 13. November 1999. Als wir alle das neue Jahrtausend feierten, da war er ganze sechs Wochen jung. Nach seinem ersten Podium beim denkwürdigen ersten "Corona-Grand-Prix" in Spielberg 2020 (bei dem Red Bull die Formel 1 nachhaltig savte), blickten wir in die Zukunft von Lando Norris. Zitat: "Jetzt rettet der Jüngling aus Bristol die alte Tante in Woking – das taumelnde McLaren-Team, das vor seiner Ankunft seit Jahren im Sinkflug war, das katastrophale Finanzprobleme hat."
Monate danach schrammte McLaren, wie Boss Zak Brown mit Verspätung, aber sehr offen, gestand, an einer Milliardenpleite vorbei. Dann war man mal ganz kurz das Schlechteste Team der Formel 1 – um nicht zuletzt mit der Hilfe des von Christian Horner achtlos bei Red Bull degradierten Rob Marshall der beste Rennstall der Welt zu werden: Konstrukteurs-Weltmeister 2024, Konstrukteurs-Weltmeister 2025.
Und jetzt mit Lando Norris: Fahrer-Weltmeister.
Etwas, das McLaren in den letzten Jahrzehnten seltener schaffte, als man glauben könnte. Nachdem man mit den Ikonen Senna und Prost zwischen 1988 und 1991 vier Titel in Serie geholt hatte, gelang es McLaren in den dann folgenden 33 Jahren nur mehr drei Mal, den jeweiligen Champion auszustatten: 1998 und 1999 Mika Hakkinen, 2008 Lewis Hamilton.
Der Tiefpunkt wurde unter Fernando Alonso erreicht, der den Niedergang seines McLaren-Teams öffentlich zelebrierte, vor allem die komplett mißglückte Zusammenarbeit mit Honda. Denkwürdig sein Funkspruch vom "GP2-Engine."
Hochmut kommt vor dem Aufstieg der anderen. Während Alonso seit damals und insgesamt seit 13 Jahren kein F1-Rennen mehr gewonnen hat, teilten sich das Honda-betriebene Red-Bull-Team und McLaren alle (!) WM-Titel der Ground-effect-Ära auf.
Genau in jenem Sommer 2017, in dem McLaren im Tal der Tränen versank, war im Rahmenprogramm der DTM aber schon der Erlöser zu erkennen. Und für uns Österreicher besonders leicht zu sehen. Denn als Lando Norris, in dem Sommer, als er 17 war, in der Formel 3 wie in einer anderen Liga fuhr, da war ein Österreicher sein Teamkollege: Ferdinand Habsburg.
Ferdinand war schnell, er siegte auf der Fahrerstrecke in Spa, aber Habsburg war und ist ein viel zu ehrlicher, reflektierter Mensch, um nicht damals schon die Außergewöhnlichkeit seines Teamkollegen anzuerkennen. Während des Formel-1-Finales 2025 habe ich meine Gesprächsnotizen mit Habsburg von damals, 2017, gelesen, unter anderem diesen Dialog:
Habsburg: "Es ist natürlich eine Herausforderung, meinen Teamkollegen Lando Norris zu challengen. Der ist 17 Jahre alt und in England schreiben sie: der ist so gut, das wird der neue Lewis Hamilton. So jemanden im Team zu haben das treibt dich an deine Grenzen, es macht dich besser, es fordert dich."
Frage: Norris hat zuletzt bei Formel-1-Tests im McLaren geglänzt. Hebt das auch das Ansehen der ganzen Serie und damit auch das Ihrer Leistungen?
Habsburg: "Jeder, der sich auskennt, weiß: das ist der ganz außergewöhnliche Fahrer meiner Altersgruppe. Ich denke neben Verstappen ist er sicher der Formel-3-Pilot, der in seiner ersten Saison am meisten für Aufsehen gesorgt hat. Aber am Ende muss ich mich auf mich konzentrieren. Weil wenn ich nur auf ihn schaue, dann bin ich wahrsten Sinne des Wortes nur am folgen."
Habsburgs Strategie in eigener Sache erwies sich als richtig – er setzte früh auf den Langstreckensport, ist dort nun höchst angesehen, Alpine-Werkspilot, und heuer hat er sein erstes WM-Rennen gewonnen.
Aber auch seine Prophezeiung passt: Jetzt war es Norris, der Verstappen und Hamilton als Weltmeister abgelöst hat. Der erste Weltmeister seit 2016, der weder Max noch Lewis heißt.
Lando hat seine Kindheit größtenteils in Glastonbury verbracht – ein Dorf, dass eines der berühmtesten Festivals der Welt beherbergt. Sein eigenes Leben ist nicht immer nur Festival gewesen, auch wenn er in einem sehr begüterten Elternhaus aufwuchs – sein Vater ist Selfmade-Millionär, er machte schnell mehr als 50 Millionen Pfund mit Renten-Versicherungen und konnte es sich dann selbst leisten, mit 36 selbst in Pension zu gehen und sich auf die Karriereförderung seines Sohnes zu konzentrieren.
Lando freilich hat trotz seines sonnenhaften und freundlichen Wesens eine sehr nachdenkliche Seite. Als er 2024 und 2025 mehrmals unter Druck Fehler machte, machte er in einer Liga der "starken Männer" ein starkes Bekenntnis zur Schwäche. Offen wie kein Titelaspirant zuvor sprach er über mentale Probleme unter Druck und die Angst zu Versagen – Aussagen, die ihm prompt von so manchen Experten des Im-Kreis-Fahrens als Schwäche ausgelegt wurden.
Jetzt hat er es allen gezeigt, und in Abu Dhabi gegen einen einmal mehr grandiosen Max Verstappen unter Druck geliefert. Er hat keine Fehler gemacht und den für den Titel nötigen dritten Platz souverän nach Hause gefahren. Auch wenn die zweite Phase der Saison eindeutig an Max ging, ist es eine enorme Leistung unter dem niederländischen Mentalitätsmonster nicht zu zerbrechen. Denn Max ist quasi wie Landos berühmtester Namensvetter eine Art Chuck Norris – ein Typ, der für alle Probleme eine Lösung zu haben scheint.
Es mag schon sein, dass Max für viele der "Mann des Jahres" in der Formel 1 ist – das aber ändert nichts daran, dass Lando als Weltmeister in die Geschichte eingeht. Als einer, der Verstappens Erfolgslauf nach vier Titeln in Serie stoppen konnte. Wenn auch mit dem Glück, dass Christian Horner zu spät gefeuert wurde. Red Bull war nach seinem Abgang ein anderes Team – viel besser und vor allem eben endlich wieder ein Team.
Bei McLaren ist es ein offenes Geheimnis, das Lando Norris der Liebling von CEO Zak Brown ist: Brown ist ein Amerikaner, der von sich selbst sagt: "In meiner Seele bin ich eigentlich ein Engländer". Norris war immer da, seit Brown bei Mclaren Chef ist, sie haben die harten Zeiten gemeinsam erlebt. Das verbindet.
Oscar Piastri, der später von Alpine kam, wirkt neben Norris eher wie ein unliebsames Stiefkind, das man respektiert, aber nicht liebt.
Eine Parallele zu Piastris Manager Mark Webber, der einst bei Red Bull nie so sehr die Herzen gewann wie das Sebastian Vettel tat. Und der am entscheidenden Tag im Stallduell verlor.
Jener Vettel, der mittlerweile zu einem der engsten Berater von Lando Norris geworden ist. Er hatte sich einst rührend um Norris gekümmert, als dieser sehr jung in die Formel 1 gekommen war, um ihn gezittert, als der in Spa unmittelbar vor seinen Augen einen schweren Crash hatte – und als ein ähnlicher Typ wie Norris ist er begeistert davon, dass Lando seine psychischen Hänger öffentlich macht und Norris dieses Thema im Piranhabecken der Formel 1, das die Schwächeren meist den Stärkeren zum Fraß vorwirft, enttabuisiert.
Mit Max Verstappen kann Lando im Normalfall übrigens sehr gut, auch wenn der WM-Kampf Narben beiderseits hinterlassen hat bei den beiden Padel-Freunden, die in Monaco gerne gemeinsam abhängen. Sie verbindet nicht nur der Zufall, dass beide eine belgische Mutter haben, sondern auch Sieges-Erfahrung. Deshalb haben sich früh kennengelernt – obwohl sie altersmäßig zwei Jahre auseinander sind. Der Grund: Beide gewannen sie oft ihre Kart-Rennen in unterschiedlichen Kategorien – und so traf man sich fast routinemäßig bei der gemeinsamen Pokalvergabe und dem dann folgenden Foto-Shooting der Sieger.
Jetzt sind sie beide Formel-1-Champions. Wie man es beiden schon im frühesten Teenager-Zeitalter prophezeit hatte. Doch der Weg vom Wunderkind zum Weltmeister dauert, auch nach dem Formel-1-Einstieg: Verstappen brauchte von 2015 bis 2021, Norris von 2019 bis 2025. Vielleicht ein Trost für Oscar Piastri, der in seiner erst dritten Saison monatelang in Führung lag.
Nun aber werden die Karten neu gemischt, Autos und Antriebe ändern sich radikal. Und es gibt noch einige schon Früh als Supertalent Auserwählte, die noch auf ihren Formel-1-WM-Titel warten: George Russell, Charles Leclerc, oder eben Oscar Piastri. Hinter ihnen wartet schon die nächste Generation: Oliver Bearman. Kimi Antonelli. Und wir sehen mit Red-Bull-Junior Arvid Lindblad (Engländer, Vater Schwede, Mutter Inderin) einen jungen Mann, der bei Alonsos letzten Titel noch nicht einmal geboren war. Und der Lando Norris 2021 als 14-Jähriger Fan angesprochen hatte mit einer Botschaft: "In fünf Jahren sehen wir uns in der Formel 1." So wird es nun sein. Und Lindblads Ansage sagt uns: Manche spüren es, dass sie auserwählt sind.
Doch der Weg vom Talent zum Titel kann weit werden und hart. Daher gilt: Gratulation, Lando Norris!
Von Hamilton beginnend gilt seit Jahren: Superstars fallen in der Formel 1 früh auf. Wenn nicht, sind sie keine Superstars.
Für Formel-1-Verhältnisse sind Norris und Verstappen Freunde. Zumindest waren sie es.
Piastri, Verstappen und Norris haben die Formel 1 2025 geprägt – und sie bis zur letzten Runde spannend gehalten.
Hier sehen Sie Lando Norris, der von sich selbst sagt, dass er sich nicht jeden Tag gleich sieht.





