GERALD ENZINGER ÜBER HAAS F1
Rettet Andretti das Schumacher-Team?
Nicht nur, dass der Grand Prix in Sotschi de facto abgesagt ist, bedroht er nun auch die Existenz eines Formel-1-Teams. Und zwar ausgerechnet des einzigen, das aus den USA kommt.
Fest steht: So wie geplant kann es mit dem Team HaasF1 in der Formel 1 2022 nicht weitergehen. Die immer schon etwas merkwürdige Kombination US-"Nationalteam" und russischer Sponsor ist unmöglich geworden. Zwar ist die Formel 1 seit jeher recht schmerzbefreit, wenn es um politische Korrektheit geht, aber eine weitere Kooperation mit Geldgeber Uralkali ist ausgeschlossen und unmöglich.
Uralkali ist ein Chemiekonzern aus dem engsten Netzwerk von Vladimir Putin, geleitet von Nikita Mazepins Vater. Eines der reichsten Männer Russlands, seit 2010 immer in der Top-100-Richest-List.
Und dieser ist nicht irgendwer im System Putin:
Dmitry Arkadievich Mazepin , geboren am 18. April 1968, ist ein weißrussisch-russischer Oligarch. Gründer und Haupteigentümer des Chemie-Giganten Uralchem. Der Konzern produziert Düngemittel (vor allem auch für Afrika) und andere chemische Stoffe. Und auch wenn er formal zum Teil in Zypern beheimatet ist, gilt Uralchem als sehr eng mit Putin, vor allem Mazepin senior.
Selbst wenn Mazepin und / oder Uralchem nur bedingt von den Wirtschaftssanktionen des Westens betroffen wäre, ist der Sponsor nicht in der Formel 1 haltbar, schon gar nicht in einem US-Team und auch sonst nicht. Als Zeichen der Distanzierung strich man das Logo noch vor dem dritten Testtag in Barcelona von den Autos und vom Truck, Mick Schumacher überklebte (auch aus Eigeninitiative) das Uralkali-Logo am Overall.
Das heißt wohl das Aus für den Geldgeber und für den sowieso umstritten Chef-Sohn Nikita Mazepin als Fahrer und Teamkollege von Mick Schumacher.
So weit, so gut – niemand würde Sponsor oder Piloten in der Formel 1 vermissen, wären da nicht auch die rund 25 bis (eher) 30 Millionen Dollar, die die Russen ins sowieso ärmste Team der Formel einzahlen und die nun wohl auch weg sind.
Wie soll der private Rennstall im Besitz des Maschinenfabrikanten Gene Haas (69) überleben? Seine Firma Haas Automation ist zwar einer der größten Werkzeugmaschinenbauer der USA, doch der kalifornische Konzern ist sicher nicht bereit, dass seit der Firmengründung 1983 angehäufte Vermögen in der letzten Startreihe der Formel 1 zu verbrennen.
Und externe Sponsoren in Uralkali-Dimension sind Anfang März und in einer katastrophalen Welt-Situation wohl kaum zu bekommen, selbst wenn die Formel1 durch die Budgetobergrenze nun attraktiver denn je ist.
Donnerstag, wenige Stunden nach dem Beginn der Invasion, gab es in der Haas-Hospitality eine Krisensitzung zwischen Besitzer Gene Haas und dem Südtiroler Teamchef Günther Steiner (56). Steiner ist via Netflix mit seinen "Fuck..."-Schreien in der Doku "Drive to Survive" zum Kultstar geworden. Nie aber war sein Zorn und seine Verzweiflung so nachvollziehbar wie jetzt. Und Drive to Survive ist nun auch das Motto bei Haas.
Beide redeten eine knappe Viertelstunde. Zwischen ihnen: zwei bedruckte Blätter Papier. Beide sind nervös.. Und sie treffen eine fürs Team hochriskante Entscheidung, die aber ethisch unumgänglich ist. Sie distanzieren sich von Uralkali.
Auch Mazepin, genannt "Mazecrash" oder "Mazespin" ist noch blasser als sonst. Ohne Papas Kohle nimmt ihn kein Team der Welt. Zu sehr ist auch menschlich umstritten, seit er – noch vor seinem ersten Formel-1-Rennen – ein Video selbst (!) gepostet hat, wie er eine junge Bekannte in einem begrabscht, und scheinbar noch stolz darauf ist.
Er hat diesen Skandal zwar überlebt, der Krieg in der Ukraine ist aber zu viel für seine Karriere. Man wird ihn nicht vermissen.
Aber das Geld des Vaters.
Wie geht es nun weiter, Haas?
Und: Droht Mick Schumacher dass abrupte Aus in der Formel 1?
Auf die Schnelle braucht man wohl einen neuen Fahrer. Offizieller Ersatzpilot ist Pietro Fittipaldi, der aber nicht so schnell ist, wie es sein Nachname vermuten lässt. Der Enkel von Emerson wäre nur eine absolute Notlösung für den Saisonauftakt in Bahrain. Auch wenn der Brasilianer in Abu Dhabi 2020 den verletzten Romain Grosjean ersetzte und sein GP-Debüt schon hinter sich hat. Doch Fittipaldi, der einst gegen Rene Binder die letzte V8-Meisterschaft gewonnen hat, ist wohl viel zu langsam für einen Formel-1-Fixplatz.
Wahrscheinlicher ist da schon, dass Haas-Partner Ferrari einen eigenen Schützling ins Cockpit setzt – am ehesten Ex-Alfa-Fahrer Antonio Giovinazzi, der in der Formel E jederzeit absprungbereit wäre.
Weitere Pay-Driver der Marke Mazepin gibt es kaum noch – zu anspruchsvoll sind die Leistungen, die man für die Superlizenz nachweisen muss.
Die größere Frage ist aber eine andere: Wie kann Haas langfristig überleben?
Ein Team, dass uns mit Fahrern wie Romain Grosjean (Punkte im ersten Rennen) und Kevin Magnussen zwischendurch immer wieder begeistern konnte – auch weil man bis zu Mazepin konsequent auf Pay-Driver alter Schule verzichtet hatte.
Eine Lösung klingt fast zu logisch: die legendäre italo-amerikanische Rennfahrerfamilie Andretti drängt in die Formel 1, will ab 2024 dabei sein. Mit einem eigenen (elften) Team.
Ein Aufnahmeantrag ist schon gestellt. Der Rest der Formel 1, einer geschlossenen Gesellschaft, die lieber durch 10 teilt als durch 11, ist wenig begeistert.
Auch aus fachlichen Gründen. Toto Wolff glaubt, dass alleine die Anlaufkosten eine runde Milliarde Euro betragen würden. Auch wenn die Andrettis, die einst als Flüchtlinge von Slowenien bzw. Kroatien nach Triest und in die USA kamen, reich geworden sind im Rennsport und angeblich sofort 400 Millionen Dollar zur Hand hätten: sehr realistisch ist der Traum von der Teamgründung nicht.
Umso sinnvoller wäre es, wenn sich die US-Rennsportgrößen Haas und Andretti zusammenschließen würden. Doch es ist auch kompliziert. Hinter den Kulissen redet man schon seit zwei Jahren miteinander, doch es ist nicht leicht zwei Alpha-Tiere mit Motorsport-Know zusammen zu bringen. Es gibt zu viele Gegensätze. Michael Andretti (13 GP) knurrt: "Haas will nicht verkaufen. Wenn er verkaufen will, soll er mich anrufen. Das macht es für uns viel einfacher. Eine Million Mal habe ich ihn schon gefragt." Der Sohn von Mario erzählt: "Unser letztes Gespräch war im November 2021. Da sagte er mir, dass es ihm egal ist, ob er hinten fährt. Für ihn würde es auch so passen." Doch das war ehe Putin seinen Plan in die Tat umsetzte und so auch den Haas-Rennstall in Schwierigkeiten brachte.
Vielleicht ist es aber nun diese absolute Krisen-Situation, die sowohl Haas als auch Andretti alles neu bewerten lässt. Und auch wenn Giovinazzi wahrscheinlicher ist (oder Callum Illot, oder Robert Shwartzman, der allerdings auch Russe ist): Die Vorstellung, dass ein Fittipaldi und ein Schumacher für Andretti fahren, würde so manchen Rennsport-Nostalgiker wohl "Prost" sagen lassen – und die Champagnerkorken knallen lassen.
Wobei wir alle von einer Welt träumen, in der Champagnerkorken die einzigen sind, die einen Knall machen. Leider nur ein Traum.
PS: Mario Andretti feiert heute, am 28. Februar, seinen 82. Geburtstag. Wir gratulieren herzlich.