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GERALD ENZINGER

GERALD ENZINGER

Vettel gegen die FIA-Glucke

Da schau her: In der Formel 1 gibt es plötzlich wieder so etwas wie Emotion! Warum der schräge Wut-Lauf von Sebastian Vettel eine Wohltat in einer normierten Welt ist und wie die FIA zum rennsportfeindlichen Kontrollzentrum wurde, zu einer Regel-Glucke.
Ausgerechnet der wohl hochrangigste sportliche Komplett-Verweigerer der Sozialen Medien bringt diese wieder einmal zum Rotieren: Sebastian Vettel.

Sein Ausritt in Montreal, die folgende Fünf-Sekunden-Strafe und vor allem sein Lauf des Zorns nach dem Rennen, bei dem er, in einem jetzt schon epischen Bild, die Platzierungstafeln 1 und 2 einfach austauschte, haben die dösende Langweiler-Formel-1 aus dem Schlaf gerissen und Fans aller Lager in Aufregung versetzt.

Gefühlt 3/4 der Fans feiern Vettel dafür, dass er “es denen da oben" (vulgo: FIA) einmal gezeigt hat.
Gefühlt 1/4 wirft ihn einmal mehr Fehler vor und ein schlechter Verlierer zu sein.

Interessantes Detail: Es scheint, als ob die Engländer die Aktion viel cooler finden als viele Deutsche Medien - mit Ausnahme von Fachmedien wie Auto Motor und Sport und AutoBild, die sich in ihren Kommentaren auch eindeutig auf der Seite Vettels positionieren.

Ein Überblick der Experten-Reaktionen?
Pro Vettel:
Mario Andretti
Nigel Mansell
Damon Hill
Jacques Villeneuve
Jenson Button
Dani Ricciardo
Lewis Hamilton  (indirekt mit dem Statement: Ich hätte das an seiner Stelle auch getan)
Allan McNish
Alex Wurz
Jean-Eric Vergne
Marc Surer
Karun Chandhok
Martin Brundle
Christian Klien
Johnny Herbert
Giedo van der Garde
Ernst Hausleitner

Kontra Vettel:
Nico Rosberg ("Er hat einen Fehler gemacht und will davon ablenken")
Ralf Schumacher
Christian Danner
Joylon Palmer

Ich würde mich auf die Seite der Vettel-Versteher begeben. Ohne aber die FIA-Schiedsrichter von Montreal zu verurteilen. (das Bashing gegen Emmanuelle Pirro, einem der Nettesten im Paddock, ist untolerierbar)

Denn die FIA hat unter Jean Todt und vor allem in Folge des Bianchi-Unfalls ein extremes Versicherungsdenken. Aus Angst, dass viel passiert, wenn etwas passiert und bei einem schlimmen Unfall gigantische Klagen drohen (wie ja auch bei und von der Familie Bianchi), sichert man sich bei allen Regeln ab, wie eine Glucke beschützt die FIA die Fahrer, nur um ja nie in Klags-Pflichten zu kommen.

Das aber geht auf Kosten des Rennsports, des puren Racings.

Was sind die die Momente, die diesen Sport so grandios machen?
Duelle wie jenes zwischen den (übrigens besten Freunden) Gilles Villeneuve und Rene Arnoux in Dijon 1979. Überholmanöver wie jenes von Alex Zanardi beim Indy-Rennen 1996 in Laguna Seca.

Jeder dieser Helden wäre heute verdammt, verteufelt und verurteilt worden. Nicht von den Fans, aber von den Rennrichtern.

Und es ist kein Zufall, dass gerade Vettel nun sagt, dass das "nicht mehr der Sport ist, in den ich mich verliebt habe". Denn wie kein anderer aktueller Pilot bewundert er die Helden der Geschichte – Lauda, Rindt, Clark.

Sein politisch inkorrekter Wut-Lauf mag ihn als schlechten Verlierer erscheinen lassen – aber das ist er (zumindest in diesem Fall) definitiv nicht. Er war es, der am Podium noch extra zum Mikrophon griff und den Fans klar machte, dass es hier nichts gegen Lewis Hamilton zu buhen gibt.

Fest steht: Die Formel 1 braucht wieder mehr Spielraum für verrückte Manöver, und Gesetze, die Mut belohnen und nicht verurteilen. Klar, war Vettel selber Schuld, das er wieder einmal einen Fehler im Rennen zu viel machte – aber er war es auch, der mit beeindruckender Car-Control das Auto und damit auch sich wieder retten konnte. Der Fehler war als solcher nicht rennentscheidend.

Dass er in diesen Hundertselsekunden nicht auch noch an Regeln denke konnte und daran, wie er Hamilton vorbeilässt, sollte klar sein. Erst recht, wenn Racer wie Alex Wurz (der vor allem damit argumentiert, dass Vettel erst nach der Rettung der Situation in den Spiegel schauen konnte), Nigel Mansell oder Jacques Villeneuve in ungewohnter Einigkeit Vettel Recht geben und dagegen sind, das solche Gesetze den Sport (zer-stören).

Und dafür sind, das man dem Fahrer in den Minuten danach auch das gestattet, was wir doch sonst immer von unseren Helden fordern: ehrliche, echte Emotion.
Schon jetzt ein ikonisches Bild der Formel-1-Geschichte. Vettel tauscht in Kanada die Platzierungstafeln für P1 und P2 aus.Schon jetzt ein ikonisches Bild der Formel-1-Geschichte. Vettel tauscht in Kanada die Platzierungstafeln für P1 und P2 aus.
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