FRANZ TOST IM INTERVIEW
„Verstappen kann Mercedes fordern!“
Viele sagen: Wenn einer heuer den nächsten WM-Titel von Lewis Hamilton verhindern kann, dann ist das Max Verstappen, der immer noch besser wird. Du warst sein erster Formel-1-Teamchef. Was macht ihn besonders?
Verstappen hat alle Zutaten, die ein Champion braucht: ein sehr hohes Talentelevel, höchste Leidenschaft, wahnsinnige Disziplin und Kreativität, was Lösungen betrifft. In dem Punkt trennt sich noch einmal die Spreu vom Weizen. Nur so kannst du Weltmeisterschaften gewinnen. Red Bull ist mit Verstappen absolut in der Lage, Mercedes die Stirn zu bieten. Auch weil Honda unsere Teams bestens unterstützt und große Fortschritte macht.
Verstappen könnte einen anderen Ex-Toro-Rosso-Piloten als jüngster Weltmeister ablösen: Sebastian Vettel. Der muss heuer bei Ferrari unbedingt liefern.
Ich denke, wenn Sebastian von Ferrari nicht benachteiligt wird, kann er um Siege mitfahren. Er kann Charles Leclerc das Leben sehr schwer machen. Klar, er wird nicht jünger, aber Vettel ist superschnell.
Ist Vettel bei Ferrari politisch im Nachteil? Leclercs Manager Nicolas Todt ist sehr einflußreich.
Ich hoffe nicht, dass da Politik betrieben wird. Und gehe mal generell nicht davon aus. Aber klar, bei so einem hochwertigen WM-Duell wird es immer wieder zu Komplikationen kommen.
Scuderia Alpha Tauri Honda statt Toro Rosso – ist es mehr als nur ein Namenswechsel? Red-Bull-Konsulent Helmut Marko meint im Gespräch mit motorprofis.at, der Rennstall sei vom Tochter- zum Schwesterteam aufgestiegen.
Das ist eine große Herausforderung. Wir stehen nun für diesen Namen, sind Botschafter dieser Marke. Wir genießen diese Herausforderung. Und wissen aber zugleich, dass wir liefern müssen.
Du warst und bist bei der Zusammenarbeit zwischen Red Bull, AlphaTauri und Motorenpartner Honda federführend. Die Entwicklung ist erstaunlich: viele haben euch nicht zugetraut, 2020 schon in einer so starken Position zu sein.
Es ist alles so eingetreten, wie es mit Honda geplant war. Man hat gewusst, dass 2018 ein Lernjahr sein würde, bei dem es vor allem um das Feedback geht. 2019 haben wir prognostiziert, dass Red Bull mit Honda gewinnen wird. Und das ist auch so passiert. Dieses Jahr hat das Paket sehr gute Chancen, die WM zu gewinnen.
Bist Du zuversichtlich, dass Honda länger in der Königsklasse bleibt? Bis jetzt gilt die Zusage nur bis 2021.
Ja. Bei so großen Konzernen gibt es immer Gegner, aber am Ende des Tages sind die Befürworter hoffentlich in der Mehrzahl.
Man hört immer wieder, wie sehr sich der Motor verbessert hat. Und das er mit dem Auto zusammengewachsen ist.
Man kann das kaum vergleichen, wie sehr der Motor jetzt in das Chassis integriert ist – im Vergleich zu 2018. Beginnend mit der Elektrik über die Wasser- und Ölpumpen, der Gewichtsverteilung, bis hin zum Schwerpunkt ist alles optimiert. Das alles verbessert die Leistung. Wir haben im Segment Zuverlässigkeit grosse Schritte gemacht – und in Barcelona beim Test nur einen Motor gebraucht. Aber zugleich ist auch die Performance besser denn je.
Ungewöhnlich für Dich: Du hast in deinem Team heuer zum ersten Mal die Situation, dass die beiden Fahrer keine Youngsters mehr sind, sondern schon bei Red Bull Racing gewesen sind. Wie ändert sich dadurch das Team?
Sie sind erfahrener, haben ein paar Schrammen, sind zufriedener und wissen zu schätzen, was sie an uns haben. Es ist ganz schnell auf den Punkt gebracht: Beide Fahrer, Daniil Kwjat und Pierre Gasly, sind schlichtweg zu früh zu Red Bull aufgestiegen. Das war zunächst nicht so geplant. Aber Sebastian Vettel ging zu Ferrari, dann war Daniil gefordert, Daniel Ricciardo ging zu Renault und musste durch Pierre ersetzt werden. Ansonsten hätten wir sie nicht nach so schnell befördert. Sie haben jetzt noch eine Chance bekommen. Ich bin zuversichtlich und glaube, dass sie uns viel bringen werden.
Trotzdem ist der Blick in eurem Team immer schon auf die künftigen Generationen gerichtet. Heuer sind wieder mehrere Piloten im Red Bull Junior Team. Auf wen sollten wir besonders gespannt sein?
Natürlich wissen wir, was diese Piloten machen, wie sie sich entwickeln, versuchen wir den Weg mit ihnen zu gehen. An der Spitze des Programms stehen im Moment Juri Vips und Yuki Tsunoda. Für beide war es die erste Formel-3-Saison, und beide konnten bereits Rennen gewinnen. Jetzt ist es an der Zeit für sie, die nächsten Schritte zu setzen.
Anmerkung: Das Interview fand vor der Eskalation in der Corona-Krise statt, von dem mittlerweile auch AlphaTauri in der nun ebenfalls abgeriegelten Region um Faenza betroffen ist. Zudem wurde in der Zwischenzeit auch der Inder Jehan Daruvala in das Red-Bull-Nachwuchsprogramm aufgenommen. Er wird bei Carlin in der Formel 2 fahren. Und Sergio Sette Camara ist ab Australien der offizielle Ersatzfahrer von AlphaTauri. Das ist jener Brasilianer, den Ferdinand Habsburg 2017 in einem legendären Rennen in Macau in der letzten Kurve überholt hatte.