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GERALD ENZINGER ÜBER DANI RICCIARDO

GERALD ENZINGER ÜBER DANI RICCIARDO

Ricciardos Heimkehr als Drohung an Perez

Red Bull verleiht Prügel und Flügel: Nyck de Vries, seit Wochen unter verbaler Dauer-Attacke, wird noch vor der Sommerpause gefeuert – und durch Dani Ricciardo ersetzt. Ein Schritt, der wohl vor allem einen anderen Mann in Angst und Schrecken versetzen muss: Sergio Perez. Denn wenn Ricciardo einschlägt, könnte er schon im Herbst den Mexikaner bei Red Bull Racing ersetzen. Gedanken über einen Unruhezustand in Zeiten eines historischen Erfolges.
Zu Beginn dieser ersten und kurzen Analyse lassen sich mich die Fett-Taste drücken:

Es sei festgestellt, dass Red Bull in der Formel 1 gerade alle Rekorde bricht und dass dies erst recht für eine Nicht-Autokonzern eine sensationelle und atemberaubende und historische Leistung ist. Hut ab vor dieser Entwicklung in den vergangenen 15 Jahren und speziell auch in den Jahren seit 2020, als die Autos für die neue Regel-Ära konzipiert wurden. Und großer Respekt vor Dr. Helmut Marko, der einst dabei war, als Superhirn Adrian Newey ins Boot geholt wurde und der im Jahr 2014 das Jahrhunderttalent Max Verstappen für Red Bull gewinnen konnte – ein Verdienst für die Ewigkeit.

Dietrich Mateschitz, ohne dessen Vertrauen, Visionen, Geduld und Loyalität all das unmöglich gewesen wäre, und sein begnadeter Macher und Umsetzer Marko haben eine historische Leistung erbracht.
Das ging aber auch nur, weil sie auf das kleinste Detail achteten und gnadenlos und ehrlich reflektiert haben und immer wieder alles in Frage stellten – und daran gearbeitet haben, jeden kleinsten Baustein in diesem wahrlich weltmeisterlichen Projekt zu verbessern.

Daher muss Red Bull am heutigen Tag auch mit der einzig möglichen Analyse des De-Vries-Rauswurfs leben:
Die Nachwuchsarbeit stottert gewaltig, der fast unheimliche Zufluss an Super-Talenten ist versiegt.

Wenn man einen Rennfahrer wie De Vries mit 27 als Quereinsteiger holt, weil er in seinem einzigen Formel-1-Rennen beeindrucken konnte, so ist das gegen alle Regeln, die die Red-Bull-Ausbildung einst so einzigartig machte.
Ein Fahrer, der älter ist als sein Landsmann, der baldige Dreifach-Weltmeister. Ein Fahrer, der zuletzt ausgerechnet beim Erzfeind Mercedes war, der seine größten Erfolge in der von Red Bull so verachteten Formel E feierte, wurde Ende 2022 geholt.

Es war angesichts seiner Vorgeschichte klar, dass De Vries Zeit brauchen wird. Und Geduld und sehr, sehr viel menschliche Wärme. Das war bei all seinen Ups and Downs in seiner Karriere mit freiem Auge erkennbar.
Ihn jetzt nach nur zehn Rennen in Unehren zu entlassen, ist auch die Verantwortung aller, die ihn geholt haben.

Doch die Geschichte beginnt schon Jahre davor, mit den Herren Ricciardo (in seiner Red-Bull-Spätphase), Gasly und Albon. Sie alle scheiterten am Ausnahme-Könner und Ausnahme-Egoisten Verstappen. Die beiden jüngeren bekamen wenig Zeit und sie waren mental in keiner Weise auf diese Herausforderung vorbereitet.

Die Folge: Man musste zum ersten Mal seit Mark Webber (2007) auf einen Piloten zurückgreifen, der nicht aus der Elite-Akademie von Red Bull kam – auf Sergio Perez, der eben kurz davor, eher zufällig, seinen ersten Grand Prix gewonnen hatte. Prompt wurde er geholt. Unter dem Jubel der Fans, die sich - zurecht – mit dem ewigen Underdog aus Mexiko freuten, ihm diese Chance gönnten.

Doch dieser späte Segen in seiner Karriere ist auch Fluch. Und zunehmend merkt man, wie unwohl sich "Checo" in dieser fremden Welt fühlt, die so sehr von den (höchst erfolgreichen) Verstappens dominiert wird. Einem Clan, der ihm im Mai 2022 die Zustimmung endgültig entzog: Perez hatte Max im Qualifying gefoult, weil er einen Ausritt inszenierte und dem Holländer die Chance auf den Gegenschlag raubte.
Zurecht waren die Verstappens angepisst (sorry, Boxengossen-Slang), und sie konterten rüde, selbst mit Hilfe der Schwiegermutter in spe, die öffentlich das Privatleben von Perez (speziell an diesem Wochenende) thematisierte.

Seitdem ist die Stimmung im Team vergiftet – trotz all der unfassbaren Erfolge.

Perez aber hatte lange einen Trumpf – Red Bull fand keinen Ersatz.
Was uns zum eigentlichen Problem bringt: Die Quelle ist versiegt, das Junior-Team liefert seit Jahren im besten Fall gehobenes Mittelmaß a la Yuki Tsunoda, in den meisten Fällen nicht mal das. Spätestens in der Formel 2 fällt die inkonstante Ergebniskurve der gepushten Piloten auf. Und so sehr etwa ein Liam Lawson in der DTM glänzen konnte, selbst hinter seinen Leistungen steht kein Ausrufezeichen, dass einst Verstappen zu bieten hatte. Und die anderen Junioren wie Hauger oder der wegen dummer rassistischer Sprüche gefeuerte Vips waren noch schlechter als Lawson. Und andere wie Doohan flüchteten zu Alpine.

Und so steht nun, mitten in der Saison, keiner bereit für die Formel 1. Im Gegensatz zu den Jahren, als man einen Vettel 2007 oder einen Ricciardo (via HRT) bedenkenlos im Sommer in den Zirkus schicken konnte.

Das ist eine kapitale Niederlage. Punkt.
Nun muss und darf es also jener Ricciardo richten, der bei Renault insgesamt enttäuschte (vor allem auch als Teamleader und Antreiber) und bei McLaren völlig versagte. Selbst Rookie und Landsmann Piastri schlägt sich neben Lando Norris besser als dies Dani tat.

Ricciardo nun wieder ins Boot zu holen, ist nicht gerade ein Ruhmeszeichen für Red Bull – zugleich aber gilt für "Dan" nun alles oder nichts. Denn dass man in der bislang schlechtesten Phase des Teams aus Faenza den viert-ältesten Fahrer der Formel 1 ins "Junior-Team" setzt, macht nur dann Sinn, wenn dem 2014 so großartigen Australier das Comeback gelingt. Brilliert er gar, dann kann es sogar sein, dass er schon im Herbst Perez bei Red Bull Racing ersetzt.

Ricciardos Alpha-Tauri-Chance ist für Red Bull ungewollt eine willkommene Gelegenheit, die Perez-Alternativen zu klären.
A) Ist Ricciardo noch schnell genug, um Perez zu ersetzen? Menschlich wäre der dem mächtigen Verstappen-Clan näher als es Perez ist. Und Teamchef Christian Horner kuschelt schon auf grotesk öffentliche Weise mit seinem Nummer-3-Piloten – es sieht wie eine Drohung für den so gedemütigten Perez aus.
Was im Übrigen wieder mal typisch für die Richtungswechsel von Horner ist.
Er hatte sich einst erbittert dagegen gewehrt, dass er Ricciardo 2014 nehmen musste, denn Horner wollte damals Altstar Kimi Räikkönen. Erst ein Machtwort von Marko rettete Ricciardo damals – der dann prompt drei Rennen in seiner ersten Saison bei Red Bull Racing gewann.

B) Nun wird Ricciardo auch zum Schicksal von Yuki Tsunoda. Denn der Japaner muss Dani regelrecht vernichten (mit Zeiten und Ergebnissen), um selbst eine Chance beim Einser-Team zu bekommen. Seine Leistungsbeurteilung ist bislang schwierig: Rookie De Vries musste er besiegen, das tat er. Aber gegen Pierre Gasly sah er bis 2022 eher schlecht aus – und Gasly verliert gerade (zu) viele Duelle gegen Ocon. Was auch den Marktwert von Tsunoda gefährdet. Der auch machtpolitisch Schwierigkeiten hat, da sich Red Bull ja in einem Abnabelungsprozess von Honda befindet und er noch mehr Honda-Mann ist als Red-Bull-Zögling.

Wie auch immer – am Ende betrifft all das auch Perez.

Und das Red Bull Junior Team. Das ist unter Zugzwang, endlich frische Ware zu liefern – daher hofft man intern wohl darauf, dass sich entweder Liam Lawson (der in Japan fährt) oder der Japaner Ayumu Iwasa in den nächsten Wochen doch noch aufdrängt. Sie zeigen immer wieder auf, aber Dominanz ist nicht erkennbar, nicht mal Konstanz.
Sollte das aber doch so sein, könnte man am Ende der jeweiligen Saison in der F2 und Superformula diesen Junior ev. an Alpha Tauri sofort heranführen und ihn probieren. Was bei Lawson leichter ginge, da er schon viel Erfahrung hat, was angesichts der kaum vorhandenen Testmöglichkeiten entscheidend ist.

Im allerbesten Fall könnte dieser Junior in den letzten drei, vier Rennen Ricciardo ersetzen, falls der da bereits im Perez-Cockpit sitzen könnte.
Das ist unwahrscheinlich – und gewagt gedacht. Aber Red Bull wurde mit unkonventionellen Ideen zum Serienweltmeister.

Da stehen viele Wenns, aber Red Bull hat sich mit zu vielen "Abers" in seiner Nachwuchsarbeit selbst in die Defensive gebracht. Es gilt einen Mann zu finden, der neben Terminator Verstappen bestehen kann.

Und man wird erst sehen, ob man den in den eigenen Reihen findet. Denn so oft das Red Bull Junior Team den besten Jungen hatte, so sind die größten Talente derzeit anderwertig geparkt: Oliver Bearman ist wohl die heißeste Aktie der Formel 2 - er ist bei Ferrari. Und im nächsten Jahrgang ist Andrea Kimi Antonelli der größte Rohdiamant. Er ist bei Mercedes unter Vertrag.

All diese Faktoren sind der Grund, warum der begnadete Werbeträger Ricciardo plötzlich auch wieder der Hoffnungsträger von Red Bull ist. Zehn Tage nach seinem 34. Geburtstag.
Red Bull könnte auch Sergio Perez (seit Wochen Q3-abstinent) bald Red Bull könnte auch Sergio Perez (seit Wochen Q3-abstinent) bald "hinauskomplimentieren".
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