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ANTHOINE HUBERT

ANTHOINE HUBERT

Anthoine Huberts Tragödie

Fast auf den Tag genau 34 Jahre nach dem Tod von Stefan Bellof hat der Rennsport in Spa abermals ein extrem begabtes junges Talent verloren. Anthoine Hubert, Jugendfreund von Leclerc & Co., war in der falschen Hundertselsekunde am falschen Platz. Ein Nachruf, auch mit Gedanken an Senna, Schumacher und Simoncelli.
Der Zufall, er rettet uns oft das Leben, ohne das wir je davon erfahren, weil wir nicht merken, wenn wir am richtigen Platz sind und uns daher in einem Bruchteil von einer Sekunde etwas nicht passiert.

Der Zufall ist aber auch ein Mörder, in Komplizenschaft von ganz vielen anderen Zufällen, die am Ende eine Kette bilden, undurchdringbar und tödlich.

Man spricht dann von Schicksal oder von Bestimmung, was zynisch uns selbst gegenüber ist, weil wir es eben in keinster Weise im Vorhinein bestimmen konnten.

Ich habe Anthoine Hubert nicht persönlich gekannt, ich habe ihn ein paar Mal bei Sieger-Pressekonferenzen gesehen oder bin ihm im Fahrerlager begegnet. Trotzdem hatte ich vor allem in den vergangenen Monaten genug von ihm gesehen, um zu wissen, dass dieser junge Bursche, der mit seinen Brillen nicht so ganz dem üblichen Verdächtigen-Bild eines Rennfahrers entsprach, schnell wie der Teufel ist.

In Nachwuchsklassen hatte er immer wieder für Aufsehen gesorgt, und sein Jahr heuer in der Formel 2 war von Anfang an gigantisch: Sensationelle Aufholjagden schon in den ersten Rennen, Siege im Heimrennen in Le Castellet und dort, wo jeder Sieger zur Legende wird: in Monte Carlo. Am Ende stand er auf seinem Wagen und streckte seine geballten Fäuste in den blauen Himmel. Ein ikonenhafter Moment.

Merkwürdigerweise hatte ich in den vergangenen Tagen mehrmals an Hubert gedacht und auch über ihn geredet.
Er war für mich in den letzten Wochen seines Lebens ein Role-Model geworden für einen Rennfahrer der Moderne, der in einer ungerechten Welt lebt.
Der Hype um Mick Schumachers Sieg in Budapest, wo er wegen des Reverse Grid Systems als Achter des ersten Rennens als Erster wegfahren hatte dürfen und wo man kaum überholen kann, war reichlich übertrieben. Bei allem Respekt vor Mick.
Und die daraus folgenden medialen Forderungen nach einem Formel-1-Cockpit für Mick, sie waren sehr ungerecht gegenüber Hubert, der seit Monaten in der selben Serie und ebenfalls als Rookie so extrem aufregende Leistungen geboten hatte.  Und der doch im Schatten stand.

Das war auch so, wenn es um seine Teamkollegin bei BWT Arden HWA ging, um Tatiana Calderon. Die hatte vergangene Woche erst einen Formel-1-Test bekommen, obwohl Anthoine im Schnitt oft um eine Sekunde pro Runde schneller war. Auch hier war er der, der als Besserer weniger Chancen bekam.

Das Leben wirkt nicht immer gerecht. Und der Zufall ist ein Killer.

Im Qualifying in Spa hatte Anthoine eine extrem schnelle Runde, er war nach zwei Sektoren um sechs Zehntel schneller als in seiner bis dahin besten Fahrt. Doch dann kam eine rote Flagge raus, er musste den Durchgang mit dem zweiten neuen Reifensatz abbrechen.
Deshalb stand er am Ende auf Platz 13 und er musste mitten im Getümmel durch die Eau Rouge.

"Let´s prepare for the Race now" war sein letzter Tweet und er beendete ihn mit einem Bizeps-Emoji.

Und er sah sich das Formel-3-Rennen an mit direktem Blick auf die Senke bei Eau Rouge, und er sah wie die Rennwagen dort hinter der Kuppe bei Radiliion aus dem Blickfeld verschwinden. Er schrieb eine Insta-Story und betitelte sie mit "Any better place to watch?"

Genau in dieser Senke sollte sich der Ecuador-Amerikaner Juan Manuel Correa befinden, als Hubert etwas weiter oben schon am Beginn der Geraden abflog. Es ging zu schnell und so traf er ihn mit 270 km/h genau in der Hundertselsekunde, als der Arden von Hubert gerade im quer vor ihm stand.

Anthoine muss in der Sekunde tot gewesen sein, auch wenn das Protokoll von 18:35 Uhr berichtet, also 85 Minuten nach dem Knall, der so viele Leben für immer verändert. Und eines beendet hat.

Wie Correas schwer verletzte Beine heilen werden, weiss keiner.
Ebenso nicht wie es seiner Seele gehen wird und der von Legenden-Sohn Giuliano Alesi, dessen Wagen leicht ausser Kontrolle geraten war, was wiederum Hubert zu seinem Ausweichmanöver zwang.

In der Formel 1 wurden binnen Minuten fast alle noch ausstehenden Termine abgesagt, zu offensichtlich war, dass eine Tragödie geschehen war.
Mercedes (HWA), Racing Point (BWT), Red Bull Racing (Team Arden) haben alle enge Bindungen zu Huberts Team, er selbst wiederum war im Renault-Junior-Programm.

Die vorletzte Woche seines Lebens hatte er mit seinen Kollegen dort verbracht, bei Radtouren und am Strand.

Sein Leben verbrachte er mit heutigen Superstars - seit der Kindheit im Kart fuhr er mit und gegen Leute wie Pole-Setter Charles Leclerc, Ocon, Gasly, Verstappen, Russell oder auch Habsburg.

Er hätte vielen von ihnen in die Formel 1 folgen können, doch ein paar Zufälle, verdichtet auf einen einzigen Tag, haben alles verändert.
Im September wäre er 23 geworden.
Wäre.

War es das wert?
Das können wir nicht für ihn beurteilen.
Aber wie hatte Ayrton Senna über die Eau Rouge gesagt? "Wenn man sie weglassen würde oder radikal umbaut, dann können wir auch gleich aufhören."
Hubert starb dort, wo es in einem Formel-1-Jahr vielleicht am gefährlichsten ist, dort wo die Eau Rouge in eine Gerade übergeht und der heranrasende Fahrer nicht sieht, was vor ihm ist. Dort wo Piloten wie Jacques Villeneuve, Ricardo Zonta oder Kevin Magnussen ebenfalls schon schwer gecrasht sind – aber heil blieben. Weil keiner mit 270 km/h hinter ihnen angeflogen kam. Er starb ähnlich wie Marco Simoncelli, der mit seinem Motorrad in Sepang einst auch mitten im Feld machtlos ausgeliefert war.

Das Glück ist oft eben genau so Zufall wie das Unglück.
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